RAY & LIZ

Richard Billingham, GB, 2018
108 min., OmdU (englisch)
Spielfilm / Drama
In einem Vorort von Birmingham wurschtelt sich die Familie Billingham am Rande der Gesellschaft durch ein Leben voller extremer Rituale und gesellschaftlicher Tabubrüche, das bestimmt wird von Faktoren, die sich ihrer Kontrolle entziehen. In drei Episoden aus diesem Leben werden die mitunter schockierenden und von verstörendem Humor geprägten Erfahrungen einer Kindheit in einer Sozialwohnung im Black Country, dem „schwarzen Land“ Englands, heraufbeschworen.

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Der Film ist der Versuch des britischen Künstlers Richard Billingham, den Kampf mit den Dämonen der eigenen Vergangenheit aufzunehmen: Er zeigt den Verfall seiner dystopischen Familie, in der die übergewichtige Mutter Liz meist kettenrauchend vor einem 1000-Teile-Puzzle sitzt, während Vater Ray sich sukzessive zum Alkoholiker entwickelt, als quälend langes Purgatorium in einer Sozialwohnung. Der Regisseur schafft mit dem Auge des geschulten Fotografen eine eigene visuelle Grammatik aus extremen Close-ups und einer neugierig flanierenden Kamera und macht den „Highway to Hell“ auf diese Weise zu einem faszinierenden Karneval der Farben und Formen. (Thomas Mießgang)

„Richard Billinghams schonungslos ehrliche Fotografien von seinem alkoholkranken Vater und seiner massigen, über und über tätowierten Mutter – Ray and Liz, wie er sie liebevoll nennt – waren das Highlight der einzigartigen Ausstellung „Sensation“ von Charles Saatchi über die späten 1990er-Jahre (…).

Seit diesem Londoner Debüt im Jahre 1996 hat Billingham sein Themenspektrum auf Tiere im Zoo, vertraute englische Landschaften und entferntere Gefilde wie Äthiopien und Pakistan erweitert. Seit neuestem filmt er auch seine eigene junge Familie, bestehend aus seiner Partnerin und drei Kindern – weit entfernt von den zerrütteten Familienverhältnissen, die ihn bekannt gemacht haben. Das jüngste Projekt des Künstlers übersetzt die Fotografien, die ihn berühmt machen sollten, in eine neue Form: sein Spielfilmdebüt über die eigene Kindheit mit dem Titel RAY & LIZ. Mehr als fünf Jahre lang arbeitete er gemeinsam mit seiner Produzentin Jacqui Davies an dieser filmischen Meditation über Themen wie Einsamkeit, Vernachlässigung und Schikane, in der Schauspielerinnen und Schauspieler traumatische Episoden aus seiner Vergangenheit rekonstruieren.

Eines von Billinghams Lieblingsfotos aus der äußerst produktiven Anfangszeit seiner Karriere zeigt seinen Vater Ray zugedeckt in seinem Bett, dessen Kopfende vor der tapezierten Wand eine Art Heiligenschein bildet. „Es ist so ruhig, als befände er sich in einer Landschaft. Er ist selbst eine Landschaft“, so der Künstler, der sich als Landschaftsfotograf versteht, obwohl er sich durch das Fotografieren von Personen einen Namen gemacht hat. (...)

„Ich habe mich immer für die Gemälde von van Gogh und Degas interessiert, in denen sie das Leben abgebildet und versucht haben, etwas schnell auf der Leinwand festzuhalten“, so Billingham. „Ich habe auf Pappe und alte Bettlaken gemalt, auf alles, was ich gerade finden konnte, um meine direkten Beobachtungen von Ray in seinem Zimmer festzuhalten.“ (…)

Während Kritiker ihm mit seiner Darstellung von Armut in der Thatcher-Ära Voyeurismus und Sensationslust vorwerfen, erklärt Billingham, er habe lediglich versucht, eine Welt, die er selbst erlebt habe, wirklichkeitsgetreu nachzuzeichnen. „Ich hoffe, authentisch zu sein und das Leben zu zeigen, wie es ist, indem ich an die Orte zurückkehre, an denen all das geschehen ist. Für mich sind das gelebte Erfahrungen.“

Elizabeth Fullerton lebt in London und ist die Autorin von Artrage!
The Story of the BritArt Revolution, erschienen bei Thames & Hudson.
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