LUZIFER // with engl. subs

Peter Brunner, AT, 2021
103 min., OmeU
#de Johannes, ein Kaspar Hauser-artiger Mann mit dem Gemüt eines Kindes, lebt mit seinem Adler und seinerstrenggläubigen Mutter abgeschieden in einer Almhütte. Der Alltag innerhalb dieser hermetischen Welt wirdbestimmt von Gebeten und Ritualen. Doch zwischen Natur- und Schöpferverehrung schieben sich plötzlichmoderne Fremdkörper und Störgeräusche: Die touristische Erschließung ihres Paradieses droht dasselbezu vergiften und den Teufel zu wecken.

#en Johannes, an innocent, Kaspar Hauser-like man with the heart of a child, lives secluded in an alpine hut together with his eagle and his devout mother. Daily life in this isolated world is governed by prayer and ritual. But suddenly, modern objects and disruptive noises intrude between nature and worship. A tourist development threatens to poison their paradise and awaken the devil.
In LUZIFER zeigt Peter Brunner bildgewaltig den alten Kampf zwischen Tradition und Moderne in seinen extremsten Auswüchsen. Eine strenggläubige Mutter (Susanne Jensen) lebt mit ihrem Kind gebliebenen erwachsenen Sohn (Franz Rogowski) auf einer isoliert gelegenen Berghütte. Als das abgründige Idyll von der touristischen Erschließung des Gebiets heimgesucht wird, nimmt das Unheil seinen Lauf. Der titelgebende Teufel erwacht und scheint sich fortan in allem zu zeigen.

Ein Film wie aus den Untiefen der Erde und des Seins geborgen. Peter Brunner zeigt basierend auf wahren Ereignissen den sich gegen den erbarmungslosen Fortschritt stemmenden Fanatismus einer Mutter und ihres an Kaspar Hauser erinnernden Sohnes. Die beiden leben in einem inzestuösen Verhältnis mit einigen Raubvögeln und katholischen Memorabilien isoliert auf einer archaischen Bergalm, als Drohnen, Hubschrauber und Baumfällarbeiten ihre Existenz aus den Angeln heben. Sie haben nur wenig Kontakt zu anderen Bergler*innen und sind dem zunehmenden Drängen auf einen Verkauf des Grundstücks wehrlos ausgeliefert. „Wo ist der Teufel?“, flüstert wiederholt die von Susanne Jensen mit leinwandsprengender Präsenz verkörperte Mutter. Ist er im fast stummen Sohn (Franz Rogowski), der seine eigene Sexualität jenseits von ihr entdeckt? Ist er in der einfallenden kapitalistischen Moderne, die die Natur vernichtet und das Leben der Familie für sich beansprucht? Ist er in der Mutter, die sich in grenzwertigen religiösen Riten und Exorzismen übt? Oder ist er im aus dem Leben geschiedenen Vater, dessen Präsenz noch immer durch jedes Bild huscht und als unausgesprochenes Trauma all den Horror katalysiert?
LUZIFER stellt die altbekannte Folk-Horror-Formel auf den Kopf. Zwar taugen die rückständigen Landbewohner*innen nach wie vor nicht zur Identifikation, ihre Pendants sind jedoch nicht länger die kultivierten Städter*innen, in denen sich die Zuseher*innen erkennen könnten. Nein, das Hinterwäldlerische ist hier auch das Unschuldige, das Abartige ist hier beseelt von einer notwendigen Überwindung innerer Schmerzen, während das sogenannte Zivilisierte rücksichtslos und lange Zeit gesichtslos wirkt. Das Böse verbirgt sich, indem es in allem zugleich blüht. Eine besondere Rolle spielen die zahlreichen Vögel im Film. Sie verschmelzen mit der Landschaft und scheinen mehr zu wissen als die Figuren. Sind sie Vorboten des Unheils oder Erinnerungen an eine Welt im Gleichgewicht?
Die unzähmbare Kamera torkelt nah an den Körpern, dringt fast in sie ein, schwebt dann doch wieder erhaben über den Bergkamm und blickt in die ewige Sonne. Die Unschärfe ist ihre Verbündete, sie will nicht nur zeigen, was passiert, sie will, dass wir es spüren. Brunner verbindet Spiritualität mit Schlamm, Symbolik mit Wirklichkeit, Zärtlichkeit mit unsagbarer Gewalt. Sein Kino beschreibt körperliche Seelenzustände. Die Seele droht der Welt abhandenzukommen. Die Körper bleiben zurück und wissen sich nicht mehr zu helfen.
(Katalogtext, ph)